Die Leichtigkeit.

Anmut ist eine schöne Zierde der Kunst. Ohne Anmut gibt es kein feines Reiten und ohne Feingefühl kann man nicht an Kunst denken. Härte, Gewalt und Kraft sind die Mitgift der Mittelmäßigen, die niemals wahrhaftig sein wollen. Nuno Oliveira

Légèreté. Die Leichtigkeit. Das große Ziel der Reiterei. Täglich praktiziert in jedem Reitstall. Nur leider völlig missverstanden. Da wird mit Leichtigkeit und Hilfe von Schlaufzügeln die Pferdebirne hinter die Senkrechte gezerrt. Mit Leichtigkeit das Gebiss in die Mundwinkel und die Sporen in die Rippen geknallt. Lässig die Gerte auf das Hinterteil des Pferde gekloppt und großkotzig getönt, dass „der olle Bock schon wieder nicht will“. Ne. Wollte ich auch nicht. Doch frei nach dem Motto: „Pack ihn mal richtig an!“ und „setz Dich mal durch!“ wird an den meisten Reitschulen das totale Gegenteil der Leichtigkeit geschult. Das Ziel ist höchstens: Es soll leicht aussehen. Doch über die Brutalität, die den Pferden angetan wird, ist man sich nicht im Klaren. Kinder lernen von Anfang an viel zu hart auf das Pferd einzuwirken und merken nicht, dass es ihrem Liebling schmerzt und er sich höchstens fügt, aber nicht gerne für seinen geliebten Zweibeiner mitarbeitet. Woher sollen die Kinder den Schmerz ihrer Einwirkungen erahnen? Ihr Pferd schreit oder jault ja nicht auf! Wie fatal wäre es auch für ein Fluchttier in freier Natur aufzuschreien vor Schmerz? Man will sich ja nicht freiwillig bei den Wölfen als Schnitzel anmelden.

Pferde ertragen mehr als Menschen

Auch meine Ponys und mein Pferd haben nie geschrien. Doch eines Tages schlug sich diese harte Reitweise auf die Gesundheit der Tiere nieder. Arthrosen, Spatt, Sehnenentzündungen, sowie auch Magen-Darm Krankheiten machten Halt bei meinen Tieren. Natürlich bekamen sie alle Behandlungen und notwendige Medikamente, natürlicher oder chemischer Form, und vor allem: Sie kamen in Rente.
Warum aber nur sind die Pferde in gewissen Hofreitschulen im hohen Alter noch körperlich so irre fit? Absolvieren eine Grand Prix Aufgabe, als würden sie sich fragen, ob es nicht noch etwas Anspruchsvolleres für sie gäben würde. Eine Geschmeidigkeit, eine Leichtigkeit ist dort zu sehen, die einem die Augen aus dem Gesicht fallen lassen. Was um  Himmels willen hat man falsch gemacht? Warum haben die Reiter im Winter Jacken an, wo ich doch spätestens nach der Lösephase im T-Shirt mein Pferd durch die Halle geackert habe. Warum sehe ich bei ihnen so gut wie keine Hilfen und bei mir konnte man auch im Dunkeln sehen, dass ich „jeden Schritt bestimme“?

Wenn der Reiter die Augen aufmacht

Nun endlich ging mein Blick über den Tellerrand. Namen wie Philippe Karl, Egon von Neindorff, Nuno Oliveira, François Baucher und Domenique Barbier erscheinen in der großen Suchmaschine bei der Frage nach der Leichtigkeit der Reiterei. Und irgendwie kam ich nach vielen Büchern und einem höchst interessanten Film von einem Arzt namens Dr. Gerd Heuschmann mit dem Titel „Stimmen der Pferde“ zu dem Entschluss: ich kann nicht reiten. Ich weiß wohl, wie ich ein Pferd durch eine S-Aufgabe durchdrücke, aber nicht wie ich sie reite. Reiten. Mit dem Pferd als Einheit in Leichtigkeit Lektionen erarbeiten und absolvieren, so dass Zuschauende von der Magie der klassischen Reitkunst verzaubert werden können. Die große Kunst. Übertrieben? Nein. Reiten ist kein Sport, es ist eine Kunst, die allerdings von jedem Menschen und jedem Pferd erlernt werden kann und nicht ausschließlich supertalentierten vorbehalten bleibt. Auch ich als reiterlich ausgebildete Grobmotorikerin kann es lernen. Gut, meine Trainerin hat Nerven wie Drahtseile, wenn es um das Ausmerzen meiner angewöhnten körperlichen Fehleinwirkungen geht. Irre was für ein Eigenleben meine linke Hand hat! Also ich sag der nicht, dass sie ziehen soll! Aber sie hält gegen! Und meine Hüfte benimmt sich so starr, als sei demnächst Ersatz dringend notwendig. Aufhören in dem Moment wo das Pferd seine Arbeit tut, ist ein merkwürdiges Gefühl. „Lass Dich tragen! Entspann dich! Störe ihn nicht, wenn er seine Arbeit macht!“ hallt es durch die Halle. „Und nun im Konterschulterherein eine Volte. Denke es einfach nur!“ Was glauben sie, wie mein Gesichtsausdruck war, als ich dies wirklich nur dachte, mir es quasi nur vorgestellt hatte und mein Pferd eine saubere Linie im Konterschulterhein absolvierte? Ich hab doch gar nix da oben drauf gemacht! Nun ja. Das sind die Momente, wo mir vor Ehrfurcht der Pferde gegenüber die Tränen in die Augen steigen. Ehrlich. Das ist ein Gefühl, welches nicht zu beschreiben ist. Dies ist der Vorgeschmack auf die Leichtigkeit der klassischen Reitkunst. Dies sind Momente, in der eine artgerechte und pferdeverständliche Ausbildung, bestätigt werden. Ich bin dabei reiten zu lernen. Ohne Ausbinder, Schlaufzügel, zusammenpressen und ultimativen Krafteinsatz. Viele einzelne Puzzleteile werden für die Pferde verständlich trainiert und zum Schluss ergibt sich daraus von alleine ein Ganzes.

Die derzeitige Realität… wird sie sich mal ändern?

Klingt schön, was? Nur warum wird es nicht überall praktiziert? Weil die Reiterei als Sport gehandhabt wird, welcher auch nun mal Geld einbringen soll. Eine gutes gezogenes Fohlen muss so früh wie möglich unter den Sattel und so schnell wie möglich ausgebildet werden, damit: die Kasse klingeln kann! Der Kommerz spricht einfach gegen eine pferdegerechte Ausbildung. Dauert zu lang und ist zu teuer. Und die Gesellschaft spielt mit. Des Weiteren ist es Prestige, wenn die Tochter auf einem schicken Pony die ersten Plätze für sich reserviert hat. Zur Not hilft der Papa mit einem gemeinsamen Abendessen mit dem Richter nach. Leistungsdruck steht dabei ganz weit vorn. Und Druck erzeugt Gegendruck, der sich in der Tochter aufbaut. Und wo geht der dann hin, wenn es nicht klappt? Ungebremst in Ponys Rippen! Der blöde Bock! Und der blöde Bock schreit nicht auf, beklagt sich nicht, sondern erträgt es und lässt sich notfalls auch brechen. Ich glaube, würden Pferde vor Schmerzen wie Hunde jaulen können, wir wären für lange Zeit derart geschockt, dass wir uns erstarrt anschauen würden und uns alle fragen, ob das, was wir da tun, im entferntesten wirklich etwas mit reiten zu tun haben könnte.